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05.09.2020
Museum

Lost Places Frankfurt: Der alte Riederwald

Am Samstag vor 100 Jahren war ein Festtag für die Eintracht! Der neugeschaffene Sport- und Spielplatz „Am Riederwald“, die damals größte Frankfurter Sportanlage, wurde feierlich eingeweiht.

Es gab ein Cricketspiel der Eintracht gegen die Sportfreunde Berlin (22:60), einen Aufmarsch aller Abteilungen, eine akademische Feier und als Höhepunkt ein Spiel der Fußballer gegen den Freiburger FC (1:1). Zu gerne würde die Eintracht heute mit vielen Gästen an diesem sporthistorischen Ort feiern, aber der ist längst ein Lost Place. Denn am alten Riederwald erinnert nichts mehr an die Eintracht.

Der Platz, den die Eintracht im September 1920 so feierlich eingeweiht hatte, befand sich einige Kilometer entfernt vom heutigen Riederwald direkt am Ratsweg. Rund 200 Meter hinter der Kreuzung Riederbruch befanden sich linker Hand die Kassenhäuschen, das etwas tiefer gelegene Stadiongelände erstreckte sich von hier bis zum Waldbeginn. Neben dem Stadion mit einer Kapazität von 40.000 Zuschauern gab es am Riederwald drei Tennisplätze, ein Gelände für Wurfübungen, ein Schlagball- und ein Hockeyfeld und ein weiteres Trainingsfeld für die Fußballer. Die Zeitschrift „Der Fußball“ schwärmte von der „wohl ausgedehntesten Fußballstätte, über die wir zur Zeit verfügen, mit einer für deutsche Verhältnisse beinahe gigantisch anmutenden Tribüne.“

Diese „gigantisch anmutende Tribüne“ war zu großen Teilen aus Holz gebaut und bot 1.500 Fans einen Sitzplatz. Für die Betuchteren gab es sogar Logen. In der Tribüne untergebracht waren Umkleide-, Wasch- und Lagerräume, ferner eine Gastwirtschaft mit Kolleg und eine Wohnung für den Platzverwalter. Vor der Gastwirtschaft war ein großer Wirtschaftsgarten mit Musiktempel, der sich idyllisch zwischen einen Geräteturnplatz und einen Faustballplatz schmiegte. Die Kurven und die Gegengerade waren aufgeschüttete Wälle, die nur zum Teil mit Stufen versehen waren.

Kurz: Es muss wunderschön gewesen sein am alten Riederwald. Heinrich Kraushaar war der Wirt der Vereinsgaststätte und kümmerte sich an Spieltagen darum, dass alle Gäste gut versorgt wurden. Unter der Woche trafen sich hier die Sportler nach dem Training und die Altsportler zum Fachsimpeln, schon damals über die „guten alten Zeiten“. Egon Graf von Beroldingen, von 1927 bis 1933 Vorsitzender der Eintracht, kam meist zu später Stunde zum Essen. Heinrich Kraushaar achtete deswegen stets darauf, dass immer noch ein Schnitzel für den Grafen vorrätig war. Bei großen Spielen mit vielen Zuschauern wurde die ganze Familie Kraushaar zum Helfen verpflichtet, außerhalb der Gaststätte wurden Verkaufsstände aufgebaut. Immer wieder organisierte Heinrich Kraushaar auch Musikkapellen, die nach den Spielen für Unterhaltung sorgten. Fünf Minuten vor Halbzeitpfiff schickte Kraushaar seinen Neffen Hans, der an Spieltagen gerne mithalf, mit zwei großen Kannen in die Umkleidekabinen. Im Winter bekamen die Spieler Tee, im Sommer Zitronenwasser.

Glaubt man den vielen Zeitzeugenberichten, hat am alten Riederwald kaum ein Kind Eintritt gezahlt. Für den Nachwuchs gab es zwei Möglichkeiten, das Spiel kostengünstig zu sehen: Vor Spielbeginn sammelten sich viele Kinder an der Straßenbahnhaltestelle am Ratsweg. Wenn die Linie 18 aus Richtung Hauptbahnhof ankam und die Spieler mit ihren großen Koffern ausstiegen, suchten die sich einen „Kofferträger“. Wer ausgewählt wurde, hatte das große Los gezogen. Die Kinder schleppten den Stars die Koffer und kamen so an allen Kontrolleuren vorbei bis in die Umkleidekabine. Oftmals gab es neben dem Ruhm, Kofferträger von Schütz, Stubb oder Ehmer zu sein, als Trinkgeld auch noch 10 Pfennig. Wer nicht in den Genuss des Koffertragens kam, ging einfach die Riederspießstraße entlang, wo links ein Holzzaun das Gelände sicherte. Hier hatten sich die Nachwuchsfans längst Löcher unter dem Zaun gegraben, über die man ebenfalls umsonst ins Stadion kam. „Schluppen“ nannte man das damals.

Durch die „Schluppen“ oder als Kofferträger kostenlos ins Stadion

1922 fand am Riederwald das erste Länderspiel in Frankfurt statt. Zu diesem Anlass wurde die Tribüne des mit über 35.000 Zuschauern ausverkauften Stadions mit Girlanden geschmückt. Das Spiel gegen die Schweiz endete ohne Eintracht-Spieler 2:2. Übrigens war 1922 nicht nur der Riederwald ausverkauft. Als die Schweizer Nationalspieler mittags vor dem Spiel im Römer empfangen wurden, wurden sie von Tausenden Frankfurtern gefeiert – vor dem Spiel!

1925 wurde das städtische Stadion im Stadtwald eröffnet. Fortan fanden Länderspiele nicht mehr am Riederwald, sondern im Stadtwald statt. Die Eintracht spielte aber weiterhin am Riederwald, nur zu großen Spielen wechselte man ins Waldstadion. Und die Mannschaft wurde stärker. Musste man 1925 noch zuschauen, wie der FSV Frankfurt das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft erreichte, wurde die Eintracht 1930 erstmals Süddeutscher Meister. Zwei Jahre später stand auch die Eintracht im Endspiel, in Nürnberg unterlag die Truppe dem FC Bayern aber 0:2. Trotzdem war am Riederwald mittlerweile eine deutsche Spitzenmannschaft beheimatet.

Verheerender Brand 1936

Am Morgen des 18. Juli 1936 bemerkten Bewohner des Stadtteils Riederwald einen Feuerschein hinter dem Baumbestand des Eintracht-Sportplatzes. Auch der Wächter des Domturms sah in Richtung Hanauer Landstraße Flammen und Rauchwolken und schlug Alarm. Die Feuerwehr rückte von den Wachen Burgstraße und Münzgasse mit zwei Löschzügen aus und war kurze Zeit später am Stadion der Eintracht. Zu dieser Zeit, es war gegen 4 Uhr, stand die Tribüne bereits in ihrer gesamten Länge in Flammen. Da es nicht genug Hydranten gab, musste man Löschwasser aus dem Ostpark, von der Hanauer Landstraße und vom Röderbergweg an den Riederwald pumpen, insgesamt wurden 4.400 Meter Schläuche verlegt. Das führte zu einem Verkehrschaos, denn der Straßenbahnverkehr im Frankfurter Osten kam zum Erliegen. Doch aller Einsatz half nicht. Die Tribüne brannte bis auf die Grundmauern nieder.

Während die Fußballer der Eintracht vorübergehend am Bornheimer Hang unterkamen, machte sich der Verein an den Neubau der Tribüne. Zum Baumeister der Eintracht wurde übrigens ein Spieler: Der Schweizer Nationalspieler Walter Dietrich, seit 1925 bei der Eintracht, wirkte als Architekt und Maurermeister am Neubau mit. Und bereits im Juli 1937 konnte Richtfest gefeiert werden. Dass zu diesem Zeitpunkt das „Tausendjährige Reich“ längst auch bei der Eintracht Einzug gehalten hatte, geht aus dem Bericht der Vereinsnachrichten hervor: „Nach dem begeistert aufgenommenen ‚Sieg Heil‘ auf den Führer widmete sich die ganze Belegschaft dem Schmaus und Trank.“

Wenn Herr Schilinski uns Jungs auf dem Hauptfeld erwischt hat, dann war was los. Der hat uns ganz schnell runtergejagt und wir hatten unseren Schreck weg.

Auf den Tag genau 17 Jahre nach der Riederwald-Eröffnung wurde die neue Tribüne des Stadions am 5. September 1937 eröffnet. 10.000 Fans sahen eine 1:5-Klatsche der SGE gegen den Fortuna Düsseldorf. Doch die Niederlage konnte man verkraften, hatte die Eintracht doch wieder eine Heimat. Die neue Tribüne war hochmodern. Das Gebäude war mit einer Länge von 70 Metern zwar etwas kleiner als die Vorgängertribüne, aber die Seitenwände zu den Kurven hin waren mit Glas verkleidet und auch die Tribünenrückseite war mit Glas durchbrochen. Im Vergleich zur alten Holztribüne wirkte die neue nun viel heller und leichter. Die Vereinsgaststätte war mit 142 Quadratmetern sehr geräumig, es gab Sitzungs- und Mannschaftsräume und sogar eine Kegelbahn mit Kegelstube. Im ersten Stock befand sich neben Funktionsräumen auch eine Wohnung. Der Platzwart, Herr über das Gelände, hieß übrigens Schilinski – und die Jugend hatte mächtig Respekt vor ihm. Immer wieder schlichen sich die Jungs nämlich mal aufs Hauptfeld, um wie die Großen auf dem heiligen Rasen zu kicken. Otto Heider, der in den 1930er und 1940er Jahren auch in der Ersten Mannschaft der Eintracht spielte, erinnerte sich vor seinem Tod 2003 an den strengen Platzwart: „Wenn Herr Schilinski uns Jungs auf dem Hauptfeld erwischt hat, dann war was los. Der hat uns ganz schnell runtergejagt und wir hatten unseren Schreck weg.“

Mit Kriegsausbruch wurde es ruhiger am Riederwald. Viele Sportler waren beim Militär, Vereinswirt Albert Meyer, Nachfolger von Heinrich Kraushaar, verlegte sein Lokal in die Stadt, er betrieb fortan die Gaststätte „Zum Klapperfeld“ in der Klingerstraße. Von 1942 bis 1944 wurde die Tribüne des Riederwalds als Unterkunft für Fremd- oder Zwangsarbeiter genutzt. Das Lager wurde von der Deutschen Arbeitsfront verwaltet, die Menschen mussten in der Zylinderschleifereri Wetzel & Schaum in der Egenolffstraße und bei Auto-Schaum in der Hanauer Landstraße arbeiten. Insgesamt sind 79 Namen für das Lager in der Tribüne bekannt. Zu Spitzenzeiten lebten vermutlich mehr als 60 Personen am Riederwald, die aus der Sowjetunion, Polen, Belgien, Italien und Frankreich kamen.

Anfang der 1940er Jahre wurde am Bornheimer Hang eine Flakstellung aufgebaut, auf dem Sportplatz der Eintracht wurde in unmittelbarer Nähe der Tennisplätze ein großer, hölzerner Beobachtungsturm errichtet. Doch diese „Schutzmaßnahmen“ konnten das Gelände der Eintracht nicht retten. Beim ersten Großangriff auf Frankfurt am 4. Oktober 1943 wurde der Osten der Stadt massiv bombardiert. Die Alliierten wollten vor allem das Industriegebiet an der Hanauer Landstraße und die Bahngleise am Ostbahnhof treffen. Die schlimmsten Verwüstungen erstreckten sich von der Friedberger Anlage über den Ostpark bis nach Oberrad. 529 Menschen kamen ums Leben, 800 Riederwälder verloren ihre Wohnungen. Auch das Stadion der Eintracht wurde von mehreren Bomben getroffen, die Tribüne zerstört. Bei einem weiteren Angriff am 21. Oktober 1943 fielen weitere Brandbomben auf den Riederwald, die Schäden wurden wie folgt zusammengefasst. „Die eigentliche Tribüne ist restlos vernichtet. Von den Räumen ist die Gaststätte ebenfalls total zerstört, dagegen ist der hintere Teil der Räume, die frühere Wohnung von Albert Mayer, die Kegelbahn und einige Umkleideräume einigermaßen in Ordnung geblieben. So haben wir die Hoffnung, dass im Sommer wieder die Möglichkeit besteht, unseren Sportplatz zu benutzen.“

Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Noch Ende 1943 begann die Stadt Frankfurt, das Eintracht-Gelände als Schuttabladeplatz für die Trümmer der Bombenangriffe zu nutzen. Die Eintracht wandte sich an Oberbürgermeister Krebs und beschwor ihn, die traditionsreiche Anlage vor der endgültigen Zerstörung zu bewahren. Die Sportler durften ab Anfang 1944 wieder am Rosegger-Sportplatz trainieren und spielen.

An den alten Riederwald sollte die Eintracht nicht mehr zurückkehren. Nach Kriegsende beschloss die Stadt Frankfurt, den Eintracht-Platz als Ausgangsort für den Wiederaufbau zu nutzen. Im August 1946 wurde eine Schmalspurbahn, Spitzname „Adolf-Hitler-Gedächtnis-Express“ in Betrieb genommen, die die Trümmer des zerstörten Frankfurts auf einer fünf Kilometer langen Gleisstrecke vom Scheffeleck zur Ratsweghalde transportierte. Die Halde befand sich auf Höhe des heutigen Festplatzes am Ratsweg.  Auf dem alten Eintracht-Gelände entstand die Trümmerverwertungsgesellschaft, die ebenfalls 1946 das erste Werk zur Wiederaufbereitung und Herstellung von Ziegelsteinen aus Trümmerschutt eröffnete. So wurde der alte Riederwald zum Ausgangsort für den Wiederaufbau Frankfurts. Erst 1949 stellte die Stadt der Eintracht westlich der Pestalozzischule ein neues Gelände zur Verfügung. Hier entstand der „neue Riederwald“, aber das ist eine andere Geschichte.

Das Gelände am Riederwald heute

Heute findet man am alten Riederwald nichts mehr, was an die Eintracht erinnert. Fährt man im Winter, wenn die Bäume ihr Laub verloren haben, auf der A661 von Bad Homburg kommend Richtung Süden, sieht man linker Hand noch die alten Kiefern des Riederwalds, die sich auf fast allen Sportfotos der 1920er und 1930er Jahre wiederfinden. Per Fahrrad kann man das Gelände umfahren, wenn man vom Ratsweg der Riederspießstraße (einst Treffpunkt der „Schlupper“) und Am Riederbruch folgt. Am Anfang der Riederspießstraße befindet sich direkt unter der A661 ein kleines, verwildertes Gelände, wo im Unterholz noch Fundamente eines Gebäudes zu entdecken sind. Die stammen aber nicht vom Eintracht-Gelände, sondern von der Trümmerverwertungsgesellschaft. Auf Höhe des Wohnhauses Nummer 7-9 war einst der Hockeyplatz. Das Stadion befand sich auf Höhe des Großmarktes. Eine Vermutung, dass die Eintracht-Fans in der Kurve vor 100 Jahren just an der Stelle standen, an der heute die Spirituosenabteilung ist, ist allerdings nicht belegbar.

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